Im ersten Teil der Beitragsreihe haben wir uns mit der Geburtsstunde der Schleichspiele beschäftigt. Nun schauen wir auf die Vertreter des Genres, die für das Etablieren der Stealth-Games definierend waren.
Thief: The Dark Project (1998, Looking Glass Studios für Eidos Interactive)
„Meisterdieb Garrett übernehmen Sie!“ – Thief: The Dark Projekt von Ken Levine (der sich später auch für Bioshock verantwortlich zeigte) und Doug Church (auch System Shock) versetzt den Spieler in eine mittelalterliche 3D-Steampunk-Metropole namens „The City“. Dort muss Garret vor dem Hintergrund einer komplexen Verschwörung wertvolle Gegenstände stehlen.
Thief hat moderne Ego-Shooter seinerzeit revolutioniert, da es als erstes Spiel konsequent auf eine defensive Action ausgelegt war. Mit der Fokussierung auf strategisches und wohlüberlegtes Vorgehen, definierte das Spiel ein neues Sub-Genre der Ego-Shooter: die sogenannten „Sneaker“. Zum ersten Mal wurden Ton- und Lichteffekte in das Gameplay integriert. Hier sei angemerkt, dass das Sounddesign von Thief großartig und sehr stimmungsvoll ist. In Kombination mit der erzählerischen Geschichte macht dies Thief bis heute zu einem intensiven und involvierenden Erlebnis.
Während man seinen Weg durch den Level plant, kann man Wachen bei Gesprächen belauschen. Um den geeigneten Moment für das Weiterkommen zu finden, eignet sich das „Um-die-Ecke-spähen“. Die Unterhaltungen der Wachen sind mitunter amüsant, weil Thief viel Wert auf abwechslungsreiche und auch lustige Dialoge legt. Im Spielmodus „Experte“ ist es in der Regel verboten die Gegner zu töten.
Übrigens: in einem Interview mit GameInformer.com von 2012 erzählt Ken Levine, dass das bereits erwähnte Castle Wolfenstein eine seiner Inspirationen zu Thief war.
Hitman: Codename 47 (2000, IO Interactive für Eidos Interactive)
Wie ich im ersten Beitrag der Reihe bereits schrieb, bin ich dank Hitman zu einem Schleichspiel-Freund geworden. Nachdem id Software 1993 Doom herausgebracht hatte, war ich Ego-Shootern verfallen. Und Hitman 2: Silent Assassin von 2002 war der erste Schleich-Shooter den ich persönlich ausgiebig gespielt habe. In dieser Übersicht beziehe ich mich aber dennoch auf das erste Hitman-Spiel von 2000, da es der Beginn der Serie war.
Der Protagonist, der den Codenamen 47 trägt, ist ein im Genlabor erschaffener Killer. Klingt schon ziemlich düster was? Ist es auch. Hitman ist schon vom Ansatz her kein leicht verdauliches Spiel und geizt auch nicht mit Gewaltdarstellungen. Es ist daher nicht umsonst umstritten. Die Indizierung von Hitman: Codename 47 wurde übrigens erst 2012 aufgehoben.
Hitman ist ein klassisches Stealth-Game, bei dem das heimliche Durchschreiten und die Erledigung der Aufgaben eines Levels im Mittelpunkt steht. Ebenfalls ist die Tarnung, durch beispielsweise das Wechseln der Kleidung, ein wichtiges Spielelement. Ziele werden mit Garotten (Klaviersaiten), einer schallgedämpften Beretta oder Scharfschützengewehren ausgeschaltet. Ein Novum von Hitman war die Einführung von Ragdoll-Figuren, die getötete Gegner noch realer wirken ließen.
Übermäßige Gewalt und das Auslösen von Alarmen soll im Spiel vermieden werden, hingegen wird ein überlegtes und gezieltes Vorgehen belohnt. Dazu gehört auch das taktische Verstecken getöteter Gegner. Zur besseren Einschätzung der Lage zeigt das Spiel links oben ein „Spannungsmeter“ an. An diesem kann grafisch abgelesen werden, ob die NPCs auf Codename 47 aufmerksam geworden sind.
Hitman enthält viele Dialoge und Zwischensequenzen, so dass das Spielerlebnis durchaus filmisch wahrgenommen werden kann.
Deus Ex (2000, Ion Storm für Eidos Interactive)
Oft als Action-Rollenspiel bezeichnet, gehört Deus Ex von Warren Spector und Harvey Smith zumindest teilweise zum Genre der Stealth-Games. Denn in dem dystopischen Verschwörungs-Cyberpunkdrama finden sich wesentliche Stealth-Elemente wieder.
Infiltration, Schleichen, das Hacken von Computern und die grundsätzliche Möglichkeit des gewaltlosen Erreichens von Zielen. Gleichwohl stellt Deus Ex dem Spieler frei, wie er seine Aufgabe erfüllt. Wenn es gewollt ist, kann man die Aufgaben auch mit Waffengewalt lösen. Dies führt allerdings zu einer Veränderung des Spielverlaufs.
Nichttödliche Waffen wie Elektroschocker, Feuerlöscher oder Brechstangen, gehören zum elementaren Arsenal im Spiel. Räume können durch Sicherheitskameras eingesehen werden. Genauso gut können diese deaktiviert werden, um ein unbemerktes Vorgehen abzusichern. Optisch erinnert Deus Ex stellenweise an Half-Life von 1998, weil es auch hier eine Brechstange als Hauptwaffe gibt und ebenso Holzkisten zerschlagen werden können.
Es ist der großen spielerischen Freiheit des Spiels zu verdanken, dass es auch als Schleichspiel bezeichnet werden kann. Im Grunde aber hält sich Deus Ex beide Wege offen: Action-Spiel und Schleichspiel gleichzeitig zu sein.
The Operative: No One Lives Forever (2000, Monolith Productions für Fox Interactive)
Was für ein fantastisches Spiel! Seit Blood von 1997 habe ich eine große Schwäche für Monolith. Auch weitere Spiele des Studios wie Condemned oder F.E.A.R. haben mir sehr gefallen.
Bei NOLF (Kurzform des Spiels) handelt es sich, ähnlich wie bei Deus Ex, um einen Mix aus Action- und Stealth-Game. Das Setting im Geheimagenten-Milieu der 1960er Jahre verortet das Spiel zumindest von der Geschichte her als Schleichspiel. Erfrischend anders ist auch der Hauptcharakter: mit Cate Archer spielt man hier eine weibliche Protagonistin. Die Stimmung des Spiels ist von Humor geprägt und man spürt immer wieder, dass sich NOLF nicht allzu ernst nimmt.
Die Missionen in NOLF setzen grundlegend auf ein vorsichtiges Vorgehen. So müssen Gegner aus der Distanz mit einem Scharfschützengewehr oder von Nahem mit Schalldämpfern ausgeschaltet werden. Ebenso können Münzen zum Ablenken eingesetzt werden. Missionsziele wie das Aufspüren und Bergen von Geheimdokumenten gehören ebenso zum Spielverlauf, wie rasante Fahrten wie einem Schneemobil.
Gegner werden in NOLF selbst durch die hörbaren Schritte des Spielers aufmerksam. Das Umgehen von Sicherheitskameras oder die Benutzung von Telefonen zur Ablenkung werden als taktische Elemente genutzt. Ebenso können Safes geknackt werden. Die Schleichspiel-Elemente sind nicht so eindeutig wie bei einem Thief, aber dennoch hat NOLF das Genre mit seiner besonderen und vor allen Dingen selbstironischen Art bereichert.
Alter Schwede! Dein Text macht einem echt bewusst, was für bedeutende, richtungsweisende und einflussreiche Spiele in diesem Zeitraum von gerade einmal zwei Jahren erschienen sind.
Unglaublich, auch und gerade in der Rückschau. Was für eine Zusammenstellung!!
Hach – der Titlescreen von Deus Ex mit dem sich drehenden Logo und diesem unfassbar genialen Soundtrack – ikonisch. :)
Die Titel würde ich alle unbesehen mit auf die berühmte einsame Insel nehmen. Wenn ich gezwungen wäre, einen zuhause zu lassen, würde es leider den Hitman erwischen. ;)
Danke für den Ausflug in diese so wichtige Epoche, André. :)
Merci bien für Deinen Kommentar Stephan!
Wenn man diese Titel noch einmal spielt, fällt es einem wie Schuppen von den Augen: was für Meisterwerke! Selbst im Vergleich zu aktuellen Spielen wie bsp. Dishonored haben sie eine elementare Relevanz. Sie haben für ihre Zeit so viel geleistet und sind Wegbereiter. Es hat mir eine Riesenfreude gemacht, das Genre aus meiner Sicht noch einmal zu beleuchten. Und sicher ist es kein Zufall, das Bioshock/SS2 “Ken Levine” Thief als Inspiration erwähnt. Das ist das Schöne für mich am Gaming: alles hängt miteinander zusammen. In einer wunderbaren Spielkultur, die uns immer wieder begeistert, berührt, entführt und uns verzaubert.
Wir lesen uns bei Teil 3 ;)
Mein erster Gedanke: “Wie? Wo ist Splinter Cell?”. Aber das kam ja erst nach 2000 ;-)
Aber jetzt habe ich, dank André, wieder ein paar neue Spiele kennengelernt.
Mir ist übrigens aufgefallen, dass ich die ersten Teile von Deus Ex und Thief noch gar nicht gespielt habe … Schande über mich.
Aber ich schleiche mich gerade mal wieder mit Garrett durch den vierten Teil. Ich hoffe wirklich, dass bald mal wieder ein gutes Stealth-Spiel erscheint.