Gastbeitrag: Call of Duty – Ein Wächter der Geschichte

Wenn ich auf meine bisherige Ego-Shooter-Karriere zurückblicke, fallen mir sofort einige Meilensteine ein. Klar: alles fing mit Doom an, weil es eine so enorme und bis dato unbekannte Beweglichkeit bot. Dann kam Half-Life, mit seiner spielerisch erzählten Story, die damals schon fast einem Kinofilm glich. Etwas später war Medal of Honor: Allied Assault an der Reihe. Und zum ersten Mal lag ich in den digitalen Trümmern der Landung am Omaha Beach. Die futuristischen Settings der Vorläufer waren wie weggefegt und ein unerwarteter Realismus ergriff mich. Was konnte danach noch kommen?

Nach meiner MoHAA-Erfahrung war es für mich kaum vorstellbar, dass Spannung und Genauigkeit noch einmal übertroffen werden sollten. Als ich später erfuhr, dass viele Entwickler von Call of Duty dem MoHAA-Team entstammten, wurde mir klar, warum dies doch gelang.

Call of Duty erhob das geschichtsorientierte Action-Gameplay in die Oberliga. Historiker werden gleichwohl eine andere und vor allen Dingen differenziertere Meinung haben. Aber noch heute weiß der erste Teil des überaus erfolgreichen Activision-Franchises, zu begeistern. Und das nach 13 Jahren des technischen Videospielefortschritts.

Die Missionen sind klar strukturiert. Jeder bekommt eine Aufgabe vom Commander.
Die Missionen sind klar strukturiert. Jeder bekommt eine Aufgabe vom Commander.

Nach dem „James Ryan“-Spiel Medal of Honor, wurde die Geschichte nun im Hinterland der Normandie (Operation Overlord) fortgeschrieben. So landen wir zu Beginn des Spiels am 5. Juni 1944 um 18 Uhr mit unserem Fallschirm in Sainte-Mère-Église, wo noch heute ein „Parachute Memorial“ mahnend an der Kirche hängt. Der mondhelle Himmel ist klar und die Sterne funkeln. Ein leises, sich immer wiederholendes Zirpen ist das einzige, was mein amerikanischer Protagonist Joe Martin hört. Sonst nur Stille. Langsam schleiche ich den ersten sanften Hügel hinauf, bis zum Farmhaus. Dann in die Hocke. Ein Wehrmachtssoldat steht Wache.

Einbruch im Schutze der Dunkelheit. Mit einem Laster durchbrechen wir den Zaun eines Lagers.
Einbruch im Schutze der Dunkelheit. Mit einem Laster durchbrechen wir den Zaun eines Lagers.

Was dem Spieler in Call of Duty als erstes auffällt, ist die Klangkulisse des Spiels. Ein cineastischer Soundtrack begleitet das Spielmenü. Im Spiel selbst wurde großer Wert auf die Bewegungs– und Umgebungsgeräusche gelegt. Geht man in das Haus, wird die zeitlich passende Orchestermusik, die aus einem Radioempfänger schallt, lauter. Die Waffengeräusche gehören zu den besten, die ich in Videospielen gehört habe.

Grafisch stimmen Architektur, Licht und Dimensionen der Spielwelt perfekt. Sicher kann man aus heutiger Sicht eine fehlende Dynamik und Details monieren. Aber Call of Duty sieht so aus, als hätte das Studio Infinity Ward seine Entwickler zu einer Studienreise in die Normandie geschickt.

Alarm für die Sinne

Ein paar Meter weiter spielen zwei deutsche Soldaten in einem Bunkerposten gelangweilt Schach und erwarten nicht, dass ich ihnen auf die Schliche gekommen bin. Ich höre ihren Gesprächen zu und warte auf den richtigen Moment. Als ich sie angreife, wird ein weiteres Highlight des Spiels sichtbar. Die KI-Soldaten bewegen sich nahezu menschlich. Da wird geduckt, hinter der Mauer Schutz gesucht und immer wieder taktiert. Call of Duty ist keine Schießbude, sondern fesselt durch seine Wirklichkeitsnähe. Seine Sorgfalt. Ich habe das Spiel für diesen Artikel noch einmal durchgespielt und mich immer wieder dabei ertappt, die geplante Zeit für jede Session weit überzogen zu haben. Man klebt förmlich am Keyboard und wird mit all seinen Sinnen in das Spiel hineingezogen.

Kaum bin ich am Bunkerposten vorbeigekommen, rückt der Nachschub unserer Airborne Division an. Die Deutschen geben Fliegeralarm und ein breiter Sirenenton erfüllt die Luft. Es regnet Fallschirme und im gleichen Moment, in dem meine Jungs landen, eröffnen die Deutschen das MG-Feuer. Ich bin im Gefecht. Ich BIN im Gefecht. ICH BIN IM GEFECHT! Und kämpfe jede Sekunde um mein Überleben.

Als unser Nachschub eintrifft, regnet es Fallschirme. Gekonnt rollen sich meine Airborne-Kameraden auf dem Boden ab.
Als unser Nachschub eintrifft, regnet es Fallschirme. Gekonnt rollen sich meine Airborne-Kameraden auf dem Boden ab.

Call of Duty stellt den Wahnsinn des 2. Weltkriegs dar. Es verstört und irritiert den Spieler absichtlich. In einer Situation wie oben, fällt es einem schwer, sich zu orientieren. Um einen herum sterben die Kameraden und die ohrenbetäubende Geräuschkulisse lässt nicht zu, dass man klare Gedanken fassen kann. Das ist es, was das Spiel ausmacht. Es fühlt sich tatsächlich authentisch an. Nicht wie ein Spiel. Und während man versucht, jeden einzelnen Feind auszuschalten, betet man immer wieder, dass man nichts und niemanden übersehen hat. Ein einziger feindlicher Soldat kann das Ende bedeuten.

Die Intensität wird durch die vollkommene Abwesenheit von Humor unterstrichen. Call of Duty will nicht cool sein. Es will nicht mit Features glänzen. Keine Waffen-Upgrades. Keine Nebenquests. Keine Open World. Kein Fancy-Shit. Hier befinde ich mich im Kampf. Im Krieg. Es gibt keine Ziele, die über die Befehle des Commanders hinausgehen. Es gibt nur uns und den Feind. Sonst nichts.

Landkarte der Normandie. Das Spiel hält sich an die historischen Ereignisse.
Landkarte der Normandie. Das Spiel hält sich an die historischen Ereignisse.

Amerikaner, Briten und Russen. Das sind die drei Nationalitäten, mit denen ich mich durch real nachempfundene Schlachten schlage. Von Brécourt nach Bénouville und weiter Richtung Berlin zur Edersee Staumauer. Die Missionen sind abwechslungsreich. Scharfschützen-Aufträge wechseln sich mit schnellen Eingriffen ab und geben dem Spieler die Möglichkeit, viele Spielarten auszuprobieren. Da das Spiel in einen geschichtlichen Kontext eingebettet ist, kann man aus Sicht der Handlung und der Ziele nicht verloren gehen. Call of Duty braucht keine Story, denn es basiert auf der Geschichte.

Bewegend oder bedrückend?

Bei Call of Duty handelt es sich eindeutig um ein Kriegsspiel. Und gerade weil die Entwickler eine pseudo-realistische Atmosphäre geschaffen haben, habe ich mir beim Spielen immer wieder auch Fragen zu den bedrückenden Hintergründen gestellt. Ist die Darstellung der Handlung moralisch verwerflich? Darf man historische Kriegsschauplätze, an denen echte Menschen gestorben sind, als Videospiel vermarkten? Muss es sein, dass ich die Feinde, nahezu real dargestellt, töte? Macht sich mein Protagonist und damit auch ich als Spieler mitschuldig am Wahnsinn des Krieges?

Es mag vielleicht überspannt klingen, aber Call of Duty schafft es noch heute, Fragen zur Moral aufzuwerfen. Sicher liegt das an der wenig fiktiven sondern historisch angelegten Spielwelt. Call of Duty versetzt die starren Schwarz-Weiß-Motive der 1940er Jahre in bewegte Bilder.

Das Spiel wurde in Deutschland mit der Altersangabe USK 18 belegt. Verfassungsfeindliche Symbole wurden entfernt und haben das Spiel zumindest optisch entschärft. An der Handlung und Spielmechanik aber wurde nichts verändert. Die Intensität der Erlebnisse ist erhalten geblieben.

Selbst die Wälder sind voller Minen. Gemeinsam erarbeiten wir uns Meter für Meter.
Selbst die Wälder sind voller Minen. Gemeinsam erarbeiten wir uns Meter für Meter.

Natürlich eignete sich Call of Duty gut für die „Killerspiele“-Diskussion. So befand sich das Spiel nach der deutschen Zensur im gewohnten Meinungskorridor. Die Jugendschützer packten es in die Schublade der Spiele, die nicht sein dürfen. Und die Spieler wurden dadurch nun erst recht auf den Titel aufmerksam gemacht. Die deutschen Spielemagazine wie GameStar oder PC Games stuften Call of Duty als gut bis sehr gut ein. Ein Effekt der weltweit zu beobachten war. Es wurde sogar mehrfach als „Game of the Year“ ausgezeichnet. Insgesamt wurden 1,7 Millionen Einheiten des ersten Call of Duty Spiels verkauft. Die Gamer schwärmen noch heute von dem Spiel. Die, die es 2003 zum ersten Mal durchgespielt haben, loben es mit Enthusiasmus. Spieler, die es später neu für sich entdeckten, attestieren Call of Duty eine außergewöhnliche Atmosphäre, die bis heute geblieben ist. Gleichwohl das Spiel nicht auf der technischen Höhe der Zeit ist.

Was bleibt von Joe Martin?

Der Auftritt des ersten Teils der Call of Duty Serie hat kommerziell eine beispiellos erfolgreiche Videospielmarke ins Leben gerufen. Bis zum April 2015 hat die Spieleserie weltweit 175 Millionen Einheiten verkauft. Sie ist auf allen wichtigen Plattformen vertreten und hat mit Call of Duty: Black Ops III einen aktuellen Titel im Markt. Vom 2. Weltkriegs-Szenario ist allerdings nicht mehr viel geblieben. Die aktuellen Titel sind in modernen Kriegsszenarien angesiedelt und spielen in der Gegenwart oder nahen Zukunft.

Call of Duty hat als Vertreter geschichtsorientierter Ego-Shooter Vorgänger und Nachfolger, die ebenfalls bemerkenswerte Spiele sind. Das bereits erwähnte Medal of Honor kann als direkter Vorläufer bezeichnet werden. Es hat ein ähnliches Setting und eine vergleichbare Atmosphäre.

2005 ist mit Brothers in Arms: Road to Hill 30 von Gearbox Software ein weiterer WW2-Shooter auf den Markt gekommen. Hier stehen sich erneut Amerikaner und Deutsche am D-Day gegenüber. In dem 2006 erschienen Mulitplayer-Titel Red Orchestra: Ostfront 41–45 kann der Spieler sogar als Deutscher am Krieg gegen die Sowjetunion 1941–1945 teilnehmen. Für den heimischen Markt ist hierzu eine spezielle Version (nach dem JuSchG ab 16 Jahren) veröffentlicht worden. Die erwähnten Spiele – die Liste ist natürlich nicht vollständig – waren ebenfalls erfolgreich und haben eigene Sequels produziert. Kommerziell weniger bedeutend waren beispielsweise Hidden & Dangerous (1999), Hour of Victory (2007) oder Enemy Front (2014).

Das Videospiel Call of Duty ist, da sind sich die Spieler und der Markt einig, eine Referenz geworden. Fragen zur Moral eines Spiels dieser Art bleiben indes und können auch nicht eindeutig beantwortet werden. Aber als Ego- Shooter sucht man, auch heute noch, nach einem vergleichbaren Erlebnis. Wer Call of Duty also noch nicht kennt, sollte es nachholen und sich von der Zeitlosigkeit des Spiels überzeugen lassen.

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Über André

Mich begeistern Videospiele seit dem Anfang der 1980er Jahre. Aus diesem Interesse heraus habe ich 2009 die Webseite Videospielgeschichten (VSG) gegründet, auf der ich gemeinsam mit verschiedenen Autoren/innen persönliche Beiträge über Computer- und Videospiele veröffentliche. Gerne könnt ihr auch auf Twitter folgen.

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7 Kommentare zu “Gastbeitrag: Call of Duty – Ein Wächter der Geschichte”

  1. Vielen Dank für die Gelegenheit eine Gastbeitrag bei Dir veröffentlichen zu dürfen! Die Beiträge auf Deiner Seite gefallen mit sehr und wir scheinen einen recht ähnlichen Spielegeschmack zu haben. Weiterhin viel Erfolg!

    1. Bitte gerne. Der Beitrag ist wirklich gelungen und man kann sich gut die Gefühle vorstellen, die das Spiel auslöst. Ich habe es leider selbst nicht gespielt. Vielleicht hole ich das bei Gelegenheit einmal nach.

  2. Ein wunderbar geschriebener Rückblick auf eine Shooterkost, welche die Spielerschaft von damals sowie von heute gleichermaßen begeisterte und begeistert. Der Beitrag hat wiedermal so einiges an Gefühlen und Erinnerungen bei mir hervorgerufen. Danke dafür!

  3. Ein sehr schöner Beitrag, sofort sind Erinnerungen auf gekommen, Bilder von Lan-Partys ect… ect… Gänsehaut!

    Ich würde den Beitrag gerne bei uns auf der CallofDuty-Infobase Seite veröffentlichen. Würde mich eine positive Entscheidung sehr freuen.

    Viele Grüße Arne

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